Ausgewählte Änderungen im Insolvenzrecht
Bei den im Dezember 2020 beschlossenen Änderungen im Sanierungs- und Insolvenzrecht handelt es sich um die Umfangreichsten seit Einführung der Insolvenzordnung. Im Folgenden finden Sie eine Übersicht der erfolgten Änderungen.
SanInsFoG beschlossen
Die Fachwelt blickt zur Zeit auf die gesetzlichen Veränderungen im Sanierungs- und Insolvenzrecht. Bei Gerichten, Beratern und Verwaltern stehen inhaltliche und organisatorische Anpassungen bevor bzw. sind bereits angelaufen.
Der Zeitplan zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (kurz: Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz, abgekürzt: SanInsFoG) sah wie folgt aus:
18.11.2020: Bundestag, 1. Lesung (weitere Informationen)
25.11.2020: Öffentliche Sachverständigenanhörung (weitere Informationen)
27.11.2020: Bundesrat, 1. Durchgang (weitere Informationen, TOP32; Stellungnahme des Bundesrates)
02.12.2020: Gegenäußerung (Unterrichtung über Stellungnahme des Bundesrats und Gegenäußerung der Bundesregierung)
15.12.2020: Abschluss im Ausschuss (weitere Informationen; Beschlussempfehlung)
17.12.2020: Bundestag, 2./3. Lesung (beschlossen)
18.12.2020: Bundesrat, 2. Durchgang (TOP 42, gebilligt)
01.01.2021: Inkrafttreten
Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement
Das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) beginnt mit einer Vorschrift zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern. Die Regelungen gelten für juristische Personen und Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, bei der kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (z.B. GmbH & Co. KG).
Überwachungspflicht
§ 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StaRUG verpflichtet Geschäftsleiter (z.B. Geschäftsführer, Vorstände) haftungsbeschränkter Unternehmensträger, fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand des Unternehmens gefährden können, zu wachen. Diese Pflicht wurde Geschäftsleitern bereits vor dem Inkrafttreten des StaRUG auferlegt (z.B. in § 91 Abs. 2 AktG – die Pflicht wurde auf andere Rechtsformen als die Aktiengesellschaft ausgedehnt).
Ausweislich der Gesetzesbegründung ist die konkrete Ausformung und Reichweite der Pflicht zur Krisenfrüherkennung von der Größe, Branche, Struktur und auch der Rechtsform des jeweiligen Unternehmens abhängig (Morgen, 2. Aufl. 2022, StaRUG, § 1 Rn. 15). Den Geschäftsleitern steht bei der konkreten Ausgestaltung ein unternehmerischer Ermessensspielraum zu, wobei der Planungszeitraum zwei Jahre umfassen sollte (vgl. Morgen, 2. Aufl. 2022, StaRUG, § 1 Rn. 16; Pannen/Riedemann/Smid/Weitzmann, 1. Aufl. 2021, StaRUG, § 1 Rn. 32).
Bestandsgefährdende Entwicklungen müssen nicht einem typischen Krisenstadium (Stakeholder-, Strategie-, Produkt-/Absatz-, Ertrags- und Liquiditätskrise) zugeordnet werden können oder gar einen Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (drohende Zahlungsunfähigkeit, Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) darstellen. Existenzgefährdende Entwicklungen können bereits viel früher einsetzen – und § 1 StaRUG möchte hier ansetzen. Geschäftsleiter sollen sich möglichst früh mit solchen Umständen auseinandersetzen – wächst doch mit zunehmender Vertiefung der Krise der Handlungsdruck bei gleichzeitig schwindenden Handlungsmöglichkeiten.
Pflicht zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen
Erkennen Geschäftsleiter bestandsgefährdende Entwicklungen, sind sie nach § 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG verpflichtet, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, haben die Geschäftsleiter gemäß § 1 Abs. 1 S. 3 StaRUG unverzüglich auf deren Befassung hinzuwirken.
Berichtspflicht
Neben der Einleitung geeigneter Gegenmaßnahmen sind die Geschäftsleiter nach § 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG verpflichtet, den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen, z.B. Aufsrichtsrat) unverzüglich Bericht zu erstatten.
Empfehlung
Geschäftsleitern – auch und insbesondere von kleinen und mittelständischen Unternehmen – ist zu raten, ein von § 1 StaRUG gefordertes Krisenfrüherkennungs- und -managementsystem einzuführen und zu pflegen. Dieses sollte wenigstens die regelmäßige Überwachung des Unternehmens (z.B. mittels Kennzahlenanalyse zur Erfolgs- und Finanzlage aus laufender Buchführung), eine Auseinandersetzung mit wesentlichen (potenziellen) Risiken (ausgehend von Kunden, Lieferanten, Kapitalgebern, Eigentümern, Organen, Mitarbeitern, Rechteinhabern, Wettbewerbern etc.) und eine Dokumentation hierüber umfassen. Sofern Risiken erkannt werden, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, sich mit ihnen zu beschäftigen, Gegenmaßnahmen einzuleiten und Überwachungsorgane zu informieren. Anderenfalls machen Geschäftsleiter sich schadenersatzpflichtig.
Bei der Einführung und Pflege eines Krisenfrüherkennungs- und -managementsystems dürften vor allem Steuerberater behilflich sein können. Für diese besteht bereits seit dem Urteil des BGH vom 26.01.2017 unter anderem die Verpflichtung, ihre Mandanten auf einen Insolvenzeröffnungsgrund hinzuweisen. § 102 StaRUG verankert diese Hinweis- und Warnpflichten nun im Gesetz. Danach haben Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer, vereidigte Buchprüfer und Rechtsanwälte bei der Erstellung eines Jahresabschlusses den Mandanten auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes und die sich daran anknüpfenden Pflichten der Geschäftsleiter und Mitglieder der Überwachungsorgane hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist.
Das Urteil des BGH vom 26.01.2017 geht allerdings über die Pflichten nach § 102 StaRUG hinaus. Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ist bei der Bewertung der Vermögensgegenstände von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit auszugehen, sofern dem nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegenstehen. Der Steuerberater als Abschlussersteller hat auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände eine Prüfungs-, Hinweis- und Mitwirkungspflicht. Er muss überlegen, ob existenzgefährdende Umstände vorhanden sind, etwaigen Zweifeln nachgehen und den Mandanten auf diese Zweifel und eine etwaige notwendige Überprüfung konkret und detailliert hinweisen – der Weg zu einem Krisenfrüherkennungs- und -managementsystem ist damit bereits eingeschlagen.
Unternehmensinsolvenzen 2021
Im Jahr 2021 wurden 13.993 Unternehmensinsolvenzen beantragt – 11,7 % weniger als im Jahr 2020. Damit war die Zahl der Unternehmensinsolvenzen auch im zweiten Jahr der Corona-Pandemie rückläufig und erreichte den niedrigsten Stand seit Einführung der Insolvenzordnung im Jahr 1999. Einen Anstieg hatte es zuletzt während der Finanzmarktkrise im Jahr 2009 gegeben (+11,6 % gegenüber 2008).
Die voraussichtlichen Forderungen der Gläubiger aus den im Jahr 2021 gemeldeten Unternehmensinsolvenzen beziffern sich auf rund 48,3 Milliarden Euro (44,1 Milliarden Euro in 2020). Der Anstieg der Forderungen trotz rückläufiger Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist auf mehr wirtschaftlich bedeutende Unternehmensinsolvenzen zurückzuführen.
Modelabels „Blacky Dress“ und „Jean Paul“ an internationalen Strategen verkauft
Die Markenrechte an den beiden Berliner Modelabels „Blacky Dress“ und „Jean Paul“ konnten erfolgreich an den internationalen Strategen ANEX aus der Türkei verkauft werden.
Insolvenzverwalter Dr. Harald Schwartz und Rechtsanwältin dr. Nora Veress arbeiteten hierbei mit der M&A-Beratung Walther Transaction GmbH zusammen. Es wurden insgesamt drei Qualifizierungsrunden mit mehr als 160 potenziellen Investoren durchgeführt.
Den Zuschlag erhielt schließlich ANEX, dem bereits andere namhafte Modemarken gehören. Der Investor plant, die beiden Marken, die früher einen Umsatz von über 20 Mio. € erwirtschafteten, neu zu beleben.
Aktionsplan 2020 zur Kapitalmarktunion – Ziele für 2022 bei Unternehmensinsolvenzen
Die Kommission will bis zum dritten Quartal 2022 eine Initiative vorschlagen, mit der gezielte
Aspekte des Rahmens für Unternehmensinsolvenzen und der entsprechenden Verfahren
harmonisiert werden sollen. Vorbehaltlich einer Folgenabschätzung will die Kommission eine Richtlinie
vorschlagen. Der genaue Anwendungsbereich dieses Richtlinienvorschlags soll Gegenstand weiterer
Beratungen mit den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament sein. Dieser Richtlinienvorschlag
könnte durch eine Empfehlung der Kommission ergänzt werden.
Zum Hintergrund:
In integrierten Kapitalmärkten sollten Kapitalgeber bei der grenzüberschreitenden Kreditvergabe an
Unternehmen ein ähnliches Maß an Vertrauen haben wie auf ihrem inländischen Markt. Ein zentraler
Aspekt in diesem Zusammenhang ist ein hohes Maß an Rechtssicherheit in Bezug auf die Folgen, falls ein
Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Gegenwärtig bestehen jedoch deutliche Unterschiede
im Insolvenzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten. Eine größere Angleichung des Insolvenzrechts in der
gesamten EU wird der Integration der nationalen Kapitalmärkte förderlich sein. Hierbei handelt es
sich um ein langfristiges Vorhaben, da das Insolvenzrecht komplex ist und nationale politische
Entscheidungen in der Frage widerspiegelt, wie schutzbedürftige Interessenträger im Falle einer
Unternehmensinsolvenz am besten geschützt werden können.
Die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Kapitalmarktunion – Umsetzung ein Jahr nach dem Aktionsplan vom 25.11.2021 finden Sie hier.
Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs für Insolvenzverwalter?
Ab 1.1.2022 müssen (u.a.) Rechtsanwälte nach den wesentlichen Verfahrensordnungen vorbereitende Schriftsätze nebst deren Anlagen und schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument an das jeweilige Gericht übermitteln („aktive Nutzungspflicht“). Die Zulässigkeit von Prozesshandlungen bzw. Prozesserklärungen ist von Amts wegen zu prüfen. Ein Verstoß gegen die Zulässigkeitsvoraussetzungen führt grds. zur Unwirksamkeit der Prozesshandlung.
Sachverständige und (vorläufige) Insolvenzverwalter reichen in Insolvenz(antrags)verfahren viele und unterschiedliche Dokumente beim Insolvenzgericht ein; u.a.: Erstberichte, Zwischenberichte, Anregungen vorläufiger Maßnahmen, Fristverlängerungsgesuche, Gutachten, Berichte nach § 156 InsO, Verzeichnisse nach §§ 151 – 153 InsO, Tabellenblätter inklusive Forderungsanmeldeunterlagen, Forderungsberichtigungen, Sachstandsberichte, Schlussberichte, Schlussrechnungen, Verteilungs-/Schlussverzeichnisse, diverse Anträge, Anregungen, Anzeigen, Erklärungen, Mitteilungen, Nachweise und Stellungnahmen.
Dieser Beitrag gibt die aktuellen Überlegungen der Verfasser wieder, wie sich die aktive Nutzungspflicht auf Sachverständige und (vorläufige) Insolvenzverwalter auswirkt und wie in der Praxis damit umgegangen werden kann.
Den Beitrag in der ZInsO, 47. Ausgabe, S. 2475, finden Sie hier.
Zulässigkeit des Insolvenzantrags über das Vermögen einer britischen Limited Company mit tatsächlichem Sitz in Deutschland
1. Eine britische Limited Company mit tatsächlichem Sitz in Deutschland ist nicht (mehr) rechts-, partei- und insolvenzfähig. Sie ist nach deutschem Recht zu qualifizieren (Einzelunternehmen, GbR, OHG mit entsprechender persönlicher und unbeschränkter Haftung). Sämtliche Aktiva und Passiva wachsen dem Einzelunternehmer bzw. den Gesellschaftern im Wege der Gesamtrechtsnachfolge an.
2. Ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer solchen Limited Company ist – nach Anhörung – als unzulässig zurückzuweisen, weil er sich gegen eine rechtlich nicht (mehr) anerkannte juristische Person richtet.
Die Anmerkungen hierzu von Dr. Harald Schwartz und Stephan Meyer finden Sie hier.
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021
Die Insolvenzantragspflicht wird gemäß § 1 des Gesetzes zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 ausgesetzt, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Starkregenfälle oder des Hochwassers im Juli 2021 beruht und solange die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen führen und solange dadurch begründete Aussichten auf Sanierung bestehen. Dies gilt längstens bis 31.01.2022 (Verlängerung bis 30.04.2022 möglich).
Das Gesetz wurde durch Art. 7 des Aufbauhilfegesetzes 2021 eingeführt. Gemäß Art. 17 Abs. 3. des Aufbauhilfegesetzes gilt es rückwirkend ab dem 10.07.2021 und bis 01.05.2022.
Baufirma Arbogast stellt Insolvenzantrag
Ein Streit mit einem Bauherren, ein geplatzter Großauftrag und Umsatzrückgänge bringen das Traditionsunternehmen mit 43 Mitarbeitern ins Wanken. Rechtsanwalt Stephan Meyer wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.
Am 6. Februar ist um die Mittagszeit eine vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet worden, nachdem die Firma ein paar Tage zuvor einen Eigenantrag gestellt hat, wie Jürgen Konrad erklärt. Der Amtsgerichtsdirektor sagt: „Es geht um eine geordnete Fortführung. Das Tun ist darauf gerichtet, dass das Unternehmen gerettet wird.“
Als vorläufiger Insolvenzverwalter ist Stephan Meyer beauftragt worden. Der erklärte, dass der Geschäftsbetrieb in jedem Fall bis 31. März fortgeführt werden könne. Bis dahin werden die Löhne der 43 Mitarbeiter weiter bezahlt. Möglich macht das die sogenannte Insolvenzgeldvorfinanzierung. Oder anders formuliert: Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zahlt die Agentur für Arbeit erstmal den Lohn weiter. Für maximal drei Monate gilt das. Da der Januar-Lohn bei den Angestellten noch ausstand, ist die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aktuell auf den 1. April terminiert. Insolvenzverwalter Meyer gibt sich in jedem Fall kämpferisch: „Gerade bei einem Unternehmen mit so einer Geschichte, will man nicht so einfach aufgeben.“
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